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Historische Gletscherbilder ermöglichen Rekonstruktion von vergangenen Gletscherständen

MeteoSchweiz-Blog | 18. August 2023
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Der weltweite Gletscherrückgang ist ein Warnsignal für den Klimawandel. Historische Gletscherbilder zeigen frühere Gletscherschwankungen und geben der Öffentlichkeit sowie der Forschung einen einzigartigen Einblick in das vergangene Klimageschehen. Diese Erkenntnisse sind essentiell für das Verständnis des aktuellen und zukünftigen Klimas.

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Gletscher ermöglichen es, Rückschlüsse auf das Klima der Erde zu ziehen, und sind somit Teil der sogenannten Klimavariablen. Das internationale Programm Global Climate Observing System GCOS definiert aktuell 55 solcher Essentiellen Klimavariablen (Essential Climate Variables ECV). GCOS hat das Ziel, qualitativ hochwertige Klimabeobachtungen aus der ganzen Welt allen interessierten Nutzenden zugänglich zu machen. Das Schweizer Klimabeobachtungssystem – GCOS Schweiz – setzt dieses globale Programm auf nationaler Ebene um.

GCOS Schweiz baut auf der Arbeit von 29 Partnerorganisationen auf und wird durch das Swiss GAW/GCOS Office bei MeteoSchweiz koordiniert. In der bergigen Schweiz sind Gletscher und deren Veränderungen natürlicherweise wichtig für die Beobachtung des Klimas und zählen folglich zu den 34 Klimavariablen, welche im Rahmen von GCOS Schweiz fortlaufend erfasst, verarbeitet und der Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden. Zu den Partnerorganisationen von GCOS Schweiz gehören unter anderen die Universitäten Bern und Zürich.

Historische Dokumente zu Klima und Witterung

Euro-Climhist an der Universität Bern ist eine Datenbank, welche historische Dokumentendaten zu Klima und Witterung aus den unterschiedlichsten Quellentypen extrahiert, evaluiert und archiviert. Neben historischen Klimadaten enthält die Datenbank auch zahlreiche Quellen zu weiteren Klimavariablen wie Gletscher und Hochwasser. Die Datenbank stellt ein Kernprojekt der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte (WSU) am Historischen Institut sowie des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern dar. Nach einer einmaligen Registrierung sind alle Daten in Euro-Climhist über einen viersprachigen Abfragebereich mit hilfreicher Abfragemaske frei zugänglich.

Der World Glacier Monitoring Service (WGMS) an der Universität Zürich ist ein internationaler Gletscherdienst, welcher standardisierte Daten zum Zustand der Gletscher und deren Veränderungen sammelt und allen Interessierten frei zur Verfügung stellt. Sowohl Euro-Climhist als auch der WGMS werden von MeteoSchweiz im Rahmen von GCOS Schweiz co-finanziert.

Die beiden GCOS Schweiz Partnerinstitutionen starteten Ende 2021 ein Projekt mit dem Ziel, historische Gletscherbilder langfristig zu sichern und einer breiten Öffentlichkeit sowie der Forschung zugänglich zu machen. Im Rahmen des Projektes wurde die klimahistorische Datenbank Euro-Climhist erweitert, um die Aufnahme von historischen Gletscherbildern zu ermöglichen. Dabei wurden Bildquellen und die dazugehörigen Metadaten zu den beiden Grindelwaldgletschern und zum Mer de Glace (Mont-Blanc-Gebiet) in Euro-Climhist integriert.

Warum sind Gletscher und deren Abbildungen wichtig?

Gletscher reagieren sehr sensibel auf Klimaschwankungen, denn jede Veränderung der Umgebungstemperatur oder der Niederschlagsverhältnisse wird von den Gletschern widergespiegelt. Wenn es im Sommer wärmer ist, schmilzt mehr Schnee und Eis und der Gletscher verliert an Masse. Treten überdurchschnittlich warme Sommer und schneearme Winter gehäuft auf, wird der Gletscher kleiner. Dies war in den Alpen in den letzten Jahrzehnten der Fall – mit einem klaren Trend: Die Gletscher weltweit verlieren seit Beginn der verfügbaren direkten Messungen vor mehr als hundert Jahren stark an Masse. Dieser Trend hat sich im 21. Jahrhundert noch verstärkt, wie die Daten des WGMS zeigen.

Um Aussagen über die Interaktion zwischen Gletscher und Klima vor dem Beginn der systematischen Messungen machen zu können, sind wir auf die Interpretation von historischen und anderen Quellen angewiesen. Neben geomorphologischen Anzeichen im Gelände und schriftlichen Hinweisen erlauben historische Bilddarstellungen von Gletschern in Form von Zeichnungen, Gemälden, Drucken und frühen Fotografien, Gletscherstände in den Alpen vom frühen 16. Jahrhundert an zu rekonstruieren.

Rekonstruktion von früheren Gletscherständen mittels historischer Bildquellen

Solche Rekonstruktionen sind nur für Gletscher möglich, welche bereits früh durch ihren grossen Bekanntheitsgrad Reisende, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Kunstschaffende herbeilockten. Ihre Bekanntheit resultiert in einer grossen Anzahl an historischen Bilddarstellungen aus Malerei und Grafik.

Vereinzelt stammen diese bereits aus dem frühen 17. Jahrhundert, treten aber gehäuft erst mit der aufkommenden Mode der Alpenreisen im 18. Jahrhundert auf. Ab dem Ende der 1840er Jahre sind auch Fotografien verfügbar. Die Auswertung dieser Quellen verlangt sorgfältige Analysen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Bildqualität, um verlässliche Informationen zu den früheren Gletscherständen zu erhalten. Der Untere Grindelwaldgletscher im Berner Oberland ist der historisch wohl am besten untersuchte Gletscher weltweit. Seine Veränderungen konnten bis ins Jahr 1535 zurück rekonstruiert werden und belegen bis zur heutigen Zeit den Gletscherrückgang auf eindrückliche Weise.

Historische Gletscherbilder in der Euro-Climhist-Datenbank

Die Euro-Climhist-Datenbank bestand bis anhin mehrheitlich aus schriftlichen Quellen sowie Messdaten und wurde durch das Projekt um rund 300 Bilddarstellungen von den beiden Grindelwaldgletschern sowie dem Mer de Glace (Mont-Blanc-Massiv) ergänzt. Die Bilddarstellungen wurden eigens für die Datenbank aufbereitet: So wurden zur historischen Einordnung der Name der Kunstschaffenden, die Originalbeschriebe sowie ergänzende Beschriebe aus der Literatur, die Datierung der Bilder und der Bildtyp in die Datenbank mitaufgenommen.

Insbesondere die Zuordnung zu einem von fünf Bildtypen – Zeichnung, Ölgemälde, Druckgrafik, Fotografie oder Karte – lässt Rückschlüsse auf die Genauigkeit der dargestellten Gletscherstände zu. Zeichnungen repräsentieren die genauesten Darstellungen. Diese sind in der Regel von hoher Qualität und zeigen die Gletscher sowie deren Umgebung je nach Kunstschaffendem in beinahe fotografischen Details. Fotografien geben die Gletscherstände ebenfalls sehr genau wieder.

Ölgemälde und Drucke, die oftmals als Kopien von Zeichnungen etwas später veröffentlicht wurden, sind generell als weniger präzise einzustufen. Sie sind jedoch ebenfalls wichtige Anhaltspunkte für die Gletscherstände. Die verschiedenen Bildtypen ermöglichen es, die Gletscherstände durch präzise Interpretation und durch ergänzende Informationen wie datierte Moränen in Gletscherstandskurven darzustellen. Diese Kurven wurden ebenfalls in die Datenbank integriert. Dadurch ist es möglich, jedes Gletscherbild in den Kontext der jeweiligen Gletschergeschichte einzuordnen.

Ein Pilotprojekt der Universitäten Zürich und Bern

Das Team des Pilotprojekts bestand aus Samuel Nussbaumer und Céline Walker von der Universität Zürich (WGMS) sowie Tamara Widmer und Christian Rohr von der Universität Bern (Euro-Climhist). Heinz J. Zumbühl von der Universität Bern unterstützte und beriet das Team. Diese interdisziplinäre Zusammensetzung ermöglichte ein Aufeinandertreffen von naturwissenschaftlichen, kunst- und umwelthistorischen Perspektiven.

Mit den Bildern der Grindelwaldgletscher und des Mer de Glace wurde eine erste Serie von Gletscherbildern in die Euro-Climhist-Datenbank integriert. Es gibt jedoch noch eine Vielzahl weiterer Gletscherbilder, welche frühere Gletscherstände in den West- und Zentralalpen oder auch in Österreich und Norwegen belegen. Der Blick auf diese einmaligen Bildtypen zu werfen ist also lohnenswert für ein besseres Verständnis der Vergangenheit und der Zukunft.

Dieser Text stammt ursprünglich von Samuel U. Nussbaumer, Christian Rohr, Céline Walker, Heinz J. Zumbühl und Tamara T. Widmer. Wir haben den Text ergänzt und angepasst.

Weiterführende Informationen und Quellen

  • Euro-Climhist, Informationen zu historischen Bilddokumenten
  • GCOS CH
  • WGMS
  • Zumbühl, Heinz J.; Nussbaumer, Samuel U.; Holzhauser, Hanspeter; Wolf, Richard (Hg.): Die Grindelwaldgletscher – Kunst und Wissenschaft. Bern: Haupt 2016, 256 S.
  • Nussbaumer, Samuel U.; Deline, Philip; Vincent, Christian; Zumbühl, Heinz J. (Hg.): Mer de Glace – art & science. Chamonix: Atelier ésope 2012, 192 S.